Es war ein
wunderschöner Sommertag. Nach einer Woche Regen und kaltem
Wind waren nun alle Schildkrötenkinder draußen, spielten im
Garten oder auf der Straße. Einige spielten mit bunten
Bällen. Andere hatten sich Kästchen auf die Erde gemalt und
hüpften darin herum. Eine große Gruppe spielte mit kleinen
Steinmurmeln. Es war schön ihnen zu zuschauen. Die kleine
Schildkröte Tilda hatte sich auf ein großes Rharbarberblatt
gelegt, was sie sich aus dem kleinen Garten am Haus geholt
hatte. Wenn sie alleine sein wollte versteckte sie sich unter
den Rahrbarberblättern. Den Geruch der kühlen Blätter, wie auch
die Natur mit den Pflanzen und die vielen Farben, mochte sie
sehr. Ihre Arme und Beine streckte sie weit aus, so dass die
Sonne sie überall wärmen konnte. Tilda sog und atmete die Sonne
kräftig ein. Den Kopf hielt sie so, dass alles, was die anderen
Schildkröten machten, gut für sie zu sehen war. Es war
wunderschön alles aus der Ferne zu beobachten. Auf einmal
steckte die Hüpfkästchengruppe die Köpfe zusammen. Sie redeten
aufgeregt durcheinander. Dann riefen sie die anderen auch alle
herbei. Gertraude, war wieder die Lauteste. Tilda war neugierig
geworden. Ihren Kopf streckte sie in Gertraudes Richtung. Da
rief Gertraude auch schon: Tilda, willst du mit, wir wollen
zum Holzplatz unten am Fluss. Tilda hatte kaum ja gesagt, weil
sie ja immer etwas Zeit brauchte, zog die ganze Herde schon los.
Tilda ließ sich nicht gerne aus der Ruhe bringen. Sie hatte es
lieber ruhig und gemütlich. Langsam trottete sie hinter den
anderen her. Gertraude rief noch einmal: “Tilda, du lahme
Ente, beeile dich, wir warten nicht.“ Manchmal konnte
Gertraude ganz schön frech sein, aber Tilda machte sich nicht
viel daraus. Sie lachte nur und dachte: wieso lahme Ente?
Ganz alleine zog Tilda, in Gedanken versunken, ihren eigenen,
vertrauten Weg. Wenn sie so daher kroch, gab es immer viel zu
entdecken. Hatte sie etwas Interessantes gesehen, blieb sie eine
Weile sitzen und schaute sich alles in Ruhe an. So auch heute,
sie hatte eine blaue Glasscherbe gefunden. Tilda sammelte
nämlich Scherben aller Art, Porzellan-, Keramik- und
Glasscherben. Sie hatte schon eine schöne Sammlung zusammen.
Die anderen Schildkröten konnte sie gar nicht mehr sehen. Doch
das war ihr jetzt egal. Sie kannte ja den Weg zum Holzplatz.
Und so saß sie da und betrachtete ihre blaue Glasscherbe. Es war
so ein wunderschönes Blau. So etwas schönes hatte Tilda noch nie
gesehen. Es leuchtete einmal hell, einmal dunkel und strahlte
wie ein Diamant. Wenn sie die Glasscherbe direkt in die
Sonnenstrahlen hielt, musste Tilda den Atem anhalten, so
funkelte und glitzerte diese schöne Glasscherbe. Tilda konnte
sich nicht satt sehen. Sie fing an zu träumen und fragte sich,
wie es wäre, wenn die ganze Welt so eine schöne Farbe hätte.
Das Gras wäre nicht grün, sondern blau. Oder alles um sie
herum würde so schön funkeln wie ihre Glasscherbe. So träumte
sie eine ganze Weile. In ihren Gedanken sah sie alles so blau
funkeln wie ihre Glasscherbe. Auf einmal konnte sie ihre
schöne blaue Glasscherbe nicht mehr sehen, sie war auf einmal
weg. Darüber erschrak Tilda so sehr, dass sie aus ihren
Träumen erwachte. Doch dann sah sie die schöne blaue Glasscherbe
zwischen ihren Füßen. Als sie sich von dem Schreck erholt hatte,
war ihr erster Gedanke, wenn alles so schön blau leuchten würde,
hätte sie die schöne blaue Glasscherbe erst gar nicht entdeckt.
So saß Tilda noch ein bißchen und träumte von schönen Farben.
Träumen war für sie das Allerschönste. Dann suchte sie sich ein
kräftiges Blatt und wickelte die Glasscherbe darin ein. Unter
ihrem Panzer hatte sie eine kleine Tasche, da steckte sie das
Päckchen hinein. Noch ganz verträumt kroch sie weiter, es
dauerte nicht lange da traf sie Hansi, den kleinen Regenwurm.
„Hallo Hansi, wo willst du denn hin?“, fragte Tilda. „Tag Tilda,
ich will nur ein kleines bißchen die Sonne genießen nach dem
vielen Regen. Den Regen mag ich zwar gerne, aber ab und zu
vertrage ich die Sonne auch ganz gut.“„Ich will zum Holzplatz am
Fluss, wenn du mit willst dann klettere auf meinen Rücken, ich
nehme Dich gerne mit.“, sagte Tilda. Hansi der kleine Regenwurm
freute sich riesig. Er ringelte sich mit Vergnügen auf Tildas
Panzer. Dort sonnte er sich wie auf einem Sonnendach. Auf dem
Holzplatz waren viele kleine und große Holzstämme aufeinander
gestapelt. Es war ein wunderschöner Spielplatz für
Schildkrötenkinder. Da konnten sie klettern, rauf und runter
springen oder einfach nur oben sitzen, lachen und schwatzen. Es
war schön und aufregend. Tilda und Hansi waren fast
angekommen, sie hörten Lachen und Johlen. Auf einmal war lautes
Grollen zu hören, kein Lachen, und kein Johlen mehr. Tilda bekam
eine Gänsehaut, was war passiert? Sie beeilten sich, Hansi
war auch schon ganz aufgeregt. Er ringelte sich hin und her.
„Was ist los, was ist los?“, fragte er. Tilda konnte ihn in
dem Augenblick auch nicht beruhigen. Auf dem Holzplatz
angekommen, sahen sie die Bescherung. Alle Schildkrötenkinder
hatten sich mit traurig hängenden Köpfen um Gertraude
versammelt. Sie weinte bitterlich, dicke Schildkrötentränen
kullerten auf die Erde. Die Stammpyramide war ins Rutschen
gekommen und ein Baumstamm war über Gertraudes Füße gerollt. Sie
hatte es nicht rechtzeitig geschafft, die Füße unter ihren
Panzer zu stecken. Alle anderen hatten es geschafft. Es tat so
weh, dass sie nicht mehr laufen konnte. Die Schildkrötenkinder
überlegten wie Gertraude nach Hause kommt. Otto die stärkste von
allen sagte: “Ich nehme Gertraude auf meinen Rücken und trage
sie nach Hause.“ Traurig machten sich alle auf den Weg.
Hansi verabschiedete sich von Tilda und kroch wieder in schöne
feuchte Erde. Für heute hatte er genug Sonne genossen. Es war
für Hansi ein schöner aber auch ein aufregender Tag gewesen. Auf
dem Weg nach Hause erinnerte sich Tilda wieder an die schöne
blaue Glasscherbe. Sollte sie ihrer Schwester die Glasscherbe
schenken, weil sich Gertraude doch so weh getan hatte? Tilda
überlegte den ganzen Weg. Zu Hause erschraken die
Schildkröteneltern, als sie sahen, dass Gertraude getragen
wurde. Sie legten einen Kräuterverband um Gertraudes Füße. Nun
musste sie für ein paar Tage zu Hause bleiben. Das war sehr
schwer für Gertraude, denn sie war eine richtige
Zappelschildkröte. Obwohl Tilda so eine große
Scherbensammlung besaß, von ihrer blauen Glasscherbe wollte sie
sich dann doch nicht trennen. Am Abend als alle
Schildkrötenkinder schlafen mussten, holte Tilda ihre
Scherbensammlung hervor und schenkte ihrer Schwester eine bunte
Porzellan- und eine blaugelbe Keramikscherbe, worüber sich
Gertraude sehr freute. Die blaue Glasscherbe tat sie zu ihrer
Sammlung. Nach diesem aufregenden Tag schliefen alle nach
kurzer Zeit friedlich ein.
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